Dieses Fussballspiel mit 25 000 Zuschauern in Serbien wird als grösste Menschenansammlung seit Ausrufung der Coronavirus-Pandemie in die Annalen eingehen Die Frage, ob eine so grosse Menschenansammlung in Zeiten einer keineswegs ausgestandenen Epidemie zu verantworten sei, scheint auch nach dem Abpfiff in Serbien kaum jemanden zu interessieren. Thomas Roser, Belgrad 12.06.2020, 09.10 Uhr Drucken Teilen Als gäbe es kein Coronavirus: Partizan-Fans stehen beim Cup-Halbfinal gegen Roter Stern Belgrad dicht beisammen. Als gäbe es kein Coronavirus: Partizan-Fans stehen beim Cup-Halbfinal gegen Roter Stern Belgrad dicht beisammen. Darko Vojinovic / AP Rot glühten die Fackeln. Rau erschallten kämpferische Fangesänge durch das stimmungsvolle Rund. Schulter an Schulter drängten sich die Massen auf den Tribünen bei der 200. Auflage des ewigen Derbys zwischen Partizan und Roter Stern Belgrad. Als wäre Corona nie gewesen. Fast 25 000 Fans sorgten im 32 000 Zuschauer fassenden Partizan-Stadion vor allem in den Fankurven für geballte Nähe: Als Europas grösste Menschenansammlung seit Ausrufung der Pandemie ging der 1:0-Triumph von Partizan im serbischen Cup-Halbfinal am Mittwochabend schon vor Anpfiff in die Fussballannalen ein. Masken oder die vorab verkündete Vorsichtsmassnahme von mindestens einem Meter Abstand zwischen den Fans waren in dem betagten Betonrund weder zu sehen noch zu erkennen. Wie die Kontrahenten auf dem Platz rückten sich auch die Zuschauer in dem Kräftemessen dicht auf die Pelle. Nur an den Rändern der Gegengerade und der Haupttribüne konnten diejenigen, die wollten, das auch in Serbien noch gültige Gebot des Abstandhaltens befolgen. Spielerisch hat Roter Stern seit dem Abgang des deutschen Spielmachers Marko Marin (31/Al Ahli) und des Erfolgstrainers Vladan Milojevic nach Saudiarabien in der Winterpause merklich an Qualität eingebüsst. Dafür machte der in der Liga einsam führende Seriensieger schon vor Spielbeginn erneut durch nationalistische Kapriolen von sich reden. Steigende Zahl Infizierter Erst überreichte das Klubpräsidium zu Wochenbeginn ein Vereinstrikot mit der Nummer 1 an den nach 13,5 Jahren Haft in Australien und Kroatien heimgekehrten «Kapetan» Dragan Vasiljkovic: Der Kriegsverbrecher hatte nach der Rückkehr als Erstes eine Amnestie für die Mörder des 2003 erschossenen Reformpremiers Zoran Djindjic gefordert. Dann drehten die Delije-Ultras den vor dem Play-off-Spiel gegen die Berner Young Boys vor den Toren des Marakana-Stadions installierten Panzer in Schussrichtung des nahen Partizan-Stadions: «Gruss aus Belgrad», so die Facebook-Botschaft an den Erzrivalen. Das niveauarme, aber sehr hektische und von wüsten Fouls geprägte Spiel wurde von den motivierter wirkenden Partizan-Recken in der zweiten Hälfte durch ein Tor des Israeli Bibras Nacho (32) entschieden. Die Frage, ob eine so grosse Menschenansammlung in Zeiten der auch in Serbien keineswegs ausgestandenen Epidemie zu verantworten sei, schien derweil auch nach dem Abpfiff kaum jemanden zu interessieren. Nur das Webportal Nova.rs schrieb, dass eine so grosse Menschenmenge an einem Ort «hochriskant» sei. Eigentlich ist Serbien ähnlich wie andere Balkanstaaten in der Corona-Krise dank wochenlangen strengen Ausgangssperren mit bisher 12 102 Infizierten und 252 Todesopfern relativ glimpflich davongekommen. Doch stabil ist die epidemiologische Lage keineswegs. War die Zahl der Neuinfizierten Ende Mai auf unter 20 pro Tag gerutscht, ist sie mittlerweile wieder auf 70 bis 80 pro Tag geklettert – und sie schwankt auffällig. Vor allem in den Studentenwohnheimen ist die Zahl der Infizierten jüngst gestiegen. Auch in Kroatien sollen am Wochenende wieder Ligaspiele mit Publikum stattfinden: Doch die epidemiologische Lage des Adriastaats ist mit landesweit nur noch einem Dutzend aktiven Fällen merklich stabiler. In Nordmazedonien sass ein Grossteil der Bevölkerung wegen vermehrter Neuinfektionen hingegen gar wieder 80 Stunden im Hausarrest. Kaum Brot, dafür Spiele Am 21. Juni stehen in Serbien Parlamentswahlen an. Die forcierte Rückkehr zur Normalität scheint Teil des Stimmenstreits des Staatschefs Aleksandar Vucic zu sein: Auch als Sieger über die Epidemie will er den von der Opposition teilweise boykottierten Urnengang für seine rechtspopulistische SNS entscheiden. Wenn schon kaum Brot, dann wenigstens Spiele: Ausgerechnet an dem Tag, als die SNS wegen der erhöhten Infektionsgefahr alle Wahlkundgebungen absagte, schnürten die ewigen Rivalen für das Corona-Derby die Schuhe. Er könne nicht sagen, ob der Krisenstab das Spiel «unter politischem Druck» wegen der Wahlen zugelassen habe, so der Epidemiologe Zoran Radovanovic: Aber aus epidemiologischer Sicht sei das «keine nachvollziehbare Entscheidung» gewesen.